Leben und leben lassen. Wie Betroffene und Angehörige mit Suchtkrankheiten umgehen und Lösungen finden können

Die Dinge sind oft nicht so, wie sie uns erscheinen, denn keiner weiß vom anderen, was der auf Grund seiner eigenen Lebenserfahrungen wirklich denkt und fühlt. So lebt jeder von uns in seiner ihm ganz eigenen Welt. Eine Welt, in der Suchtkrankheiten und andere Probleme oft viel zu spät als solche erkannt werden.

Das Universum ist jedoch so angelegt, dass kein Einzelwesen ohne den Rest der Welt existieren kann. Das bedeutet: Leben und leben lassen sind wesentliche Grundelemente der gesamten Ordnung. Erst darauf kann sich alles Weitere überhaupt erst entwickeln und auf dieser Basis sind auch Wege aus einer Sucht möglich.

Ob sich die daraus folgenden Abläufe harmonisch oder disharmonisch entwickeln, wird nicht zuletzt von der Toleranz bestimmt, mit der die verschiedenen Wesen einander begegnen.

Da, wo jemand nicht den Platz eingenommen hat, den er nach dem Plan der höheren Ordnung einnehmen sollte, gibt es unwillkürlich Probleme. Dauerhafte Konflikte sind hier die Folge.

Ein Ende dieser Konflikte ist erst in Sicht, wenn sich dieser Mensch in die ihm zugedachte Position begibt. Tut er dies nicht, so wird er immer einen Störfaktor für die allgemeine Ordnung darstellen. Da es ihm in der Regel nicht gelingt, die ganze Umgebung nach sich selbst auszurichten, wird er sich durch das starre Behaupten seines eigenen Standpunktes am Ende selbst vernichten, weil die Grundlage für eine Daseinsform am falschen Platz nicht gegeben ist.

Unter diesen Aspekten betrachte ich auch meine eigenen Beziehungen zu Freunden, Kollegen und Mitbürgern und muss erkennen, dass ich nicht gewillt bin, mich in meiner persönlichen Entwicklung aufhalten zu lassen, noch mich einem Niveau anzupassen, welches nicht das meine ist, um darin dann unfrei und fern meiner eigenen Wirklichkeit mein Hiersein zu fristen.

Wenn mein Gegenüber Zeit seines Lebens in irgendwelchen Sackgassen auf den Tod warten möchte, nur weil er oder sie sich einmal festgefahren hat, dann ist das sein/ihr Problem. Ich würde diesen Menschen wohl kaum lieben, ehren und achten, wenn ich ihm dabei Händchen halte. Mir bleibt dann nur noch, fort zu gehen, der andere kann wählen, mir zu folgen oder in der eigenen Festgefahrenheit zu verweilen und weiter mit Grauen auf noch Schlimmeres zu warten.

Sobald ich mich aus dem Problem des anderen herausgenommen habe, kann mein Gegenüber keine seiner Entscheidungen mehr von mir abhängig machen und wird alles, was er oder sie daraufhin tut, als Ausdruck eines freien Willens tun.

Wenn dies dazu führt, dass der andere in dem von ihm selbst gewählten Kerker vergeht, wenn dies in freier Wahl geschieht, soll es wohl so sein. Vermutlich hätte er ohnehin kaum die Kraft gehabt zu leben. Die Natur ist nicht grausam, indem sie sich der natürlichen Auslese bedient. Doch der Mensch ist oft nicht fähig, sie zu verstehen und zu akzeptieren. Aus diesem Grunde versteht er sich und sein eigenes Tun oft selber nicht.

Erst wenn ein solcher Mensch von allen allein gelassen wurde, entwickelt er, um in dieser Welt überleben zu können, die Fähigkeit sein wahres Ich anzuschauen und sich selbst erneuernd zu beleben. Die Motivation entsteht aus der Verlustangst, die wesentlicher Bestandteil die Todesangst ist. Erst dann erkennt er all die Narben, die er sich selbst und anderen im Laufe seines Lebens zugefügt hat.

Manch einer vermag sich erst dann, wenn er vom Ich zum Wir zurück gefunden hat, als ein Teil des Ganzen zu erkennen. Gleichzeitig wird der, welcher den Weg über das Ich zum Wir gegangen ist, möglicherweise auch erkennen, dass er kein Huhn mit gestutzten Flügeln mehr darstellen braucht, sondern wird den Adler in sich beleben und endlich aus dem viel zu eng gewordenem Nest fliegen.

Es gibt nichts Schöneres als die Freiheit, wählen zu können, wann man wo sein möchte und selbst zu entscheiden, wie lange man verweilen will.

Es gibt auf unserer Welt immer mehr Menschen, die sich von Kindheit an bestimmten Zwängen unterwerfen (mussten) und dadurch ihrer Chance beraubt sind, sich selbst zu finden und zu verwirklichen. Diese Menschen verlieren sich auf der Suche nach dem eigenen Selbstwertgefühl relativ leicht in der Sucht, denn Sucht ist nichts anderes als der Ausdruck der SUCHE NACH SICH SELBST.

Solche Menschen fühlen sich von so manchem unter Druck gesetzt und genau genommen erpressen sie sich sogar selbst mit einem falschen Luftgemisch, das sie sich aus der Atemluft heraus filtern und das sie in Form von  Stick-Gasen nutzen, sich selber vorzeitig kaputt zu machen. So hofft das Unterbewusste mancher fest gefahrenen Situation zu entfliehen.

Die Suchtkrankheit ist eigentlich ein schleichender Selbstvergiftungsprozess, wobei die Lunge die wichtigste Rolle spielt. Suchtkranke sind traumatisierte Menschen, die unter einem so genannten Barotrauma leiden. Das ist eine Kohlendioxidvergiftung des Blutes, die den Betroffenen immer wieder neu in eine Desorientierung zwingt.

Alkohol, Zigaretten, Drogen und andere Suchtmittel werden vom Suchtkranken lediglich dazu genutzt, die unangenehmen Empfindungen des Traumas zu unterdrücken, zu überspielen oder vorübergehend zu lindern.

Bier erweicht zum Beispiel die Häute der Zellwände und der Lungenbläschen und hilft durch die darin enthaltenen Bitter- und Gerbstoffe den Stoffaustausch im Zell- und Zwischengewebe sowie zwischen großem und kleinem Blutkreislauf zumindest zeitweise zu verbessern. Der Suchtkranke fühlt dies als Linderung.

Aus dieser Sicht betrachtet ersetzen Suchtmittel in Wahrheit Medikamente, solange die Betroffenen sich mit ihren seelischen Verletzungen, in Folge einer angeschlagenen Psyche und meist unbemerkt, in einem traumatisierten Zustand befinden, in dem sie sich an falschem Atemgemisch schleichend vergiften.

In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig, die Herangehensweise der öffentlichen Institutionen, die sich mit Suchtproblematik befassen, zu überdenken. Mit genügend Einsicht in die Notwendigkeit, den Betroffenen alle nötige Unterstützung zu geben, end-traumatisierende Maßnahmen einzuleiten und somit langsam und schrittweise aus der Problematik auszuschleichen, ist in diesem Zusammenhang für alle das Beste.

Suchtverhalten spiegelt nur einen ganz bestimmten Missstand wieder, der darauf wartet, korrigiert zu werden. Es ist ein Hilfeschrei an die Umwelt und nicht zuletzt an das eigene Selbst. Das heißt auch, wer die Bereitschaft entwickelt, zu begreifen, warum er süchtig wurde, legt damit einen ersten Grundstein zum Gesunden.

Trockenwerden (von jeglicher Sucht) kann man mit dem Trockenfallen eines Brunnens, einer sprudelnden Quelle oder gar dem Austrocknen einer Oase vergleichen. Es handelt sich dabei immer um einen Zustand des Verdorrens, verbunden mit dem Gefühl des Verdurstens – also einen kleinen Tod.

Tod ist nun mal die Voraussetzung für das Entstehen neuen Lebens. Denn alles was besteht, ist wert, dass es zugrunde geht. Mit Nitzsche gesagt: “… in allem Vergehen ein neues Entstehen zu sehen.“

Früher oder später fallen alle Brunnen einmal trocken. Die Natur ist glücklicherweise so gut durchdacht, dass nicht alle gleichzeitig derselben Entwicklungskrankheit anheim fallen. So halte ich es mit Martin Luther, der da sagte: „Hinfallen ist keine Schande, aber Liegen bleiben.“

Wir machen alle unsere Fehler und diese sind im Grunde doch nur Erfahrungen, die jedem  dienlich sind, um das, was dahinter verborgen liegt, selber zu erkennen. Zu Menschen werden wir dadurch, dass wir uns die Sprache der Fehler, als Sprache der Natur selbstbewusst und allgemein verständlich zu eigen machen. Wer jedoch seine „Fehler“, seine schlechten Erfahrungen ignoriert, der missachtet unweigerlich auch die Natur und vernichtet damit seine eigene Daseinsberechtigung.

 

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